Donnerstag, 29. Mai 2008

Fin del mundo

Nachdem wir unsere Oberschenkel ausgeruht und quasi alle Kleider in der Wäscherei gesäubert hatten, verliessen wir Rio Grande und radelten entlang der Atlantikküste richtung Ushuaia. Die Landschaft von Feuerland konnten wir heute richtig geniessen, da das Wetter mitspielte und die Sonne dafür sorgte, dass die Farben der Küste und der Felder in knalligen, ja fast kitschigen Farben erstrahlten.


Mittlerweilen geht die Sonne etwa um 9.40 auf und bereits um 17.20 wieder unter. Somit ist einerseits die Tagesdauer mit Sonnenlicht sehr kurz, andererseits scheint die Sonne unter einem so flachen Winkel auf die Erde, dass man fast den ganzen Tag das Gefühl hat, sie müsse demnächst untergehen, was sich dann aber noch Stunden hinziehen kann.


Nach einem langen aber sehr genussreichen Velotag erreichten wir Tolhuin, unsere Bleibe für eine Nacht. Es war vermutlich das einzige Hostel im kleinen aber sympatischen Dorf, in welchem wir bei der üblichen Rundfahrt alles vorfanden, was es braucht: Dorfplatz, Kapelle, Bäckerei, Metzgerei, Tankstelle, Supermarkt, Videothek, Taxiunternehmen und eben ein Hostel. Es war ein spezielles Gefühl, so nah an unserem ersehnten Ziel Ushuaia zu sein.

Die letzte Etappe war dann in vieler Hinsicht ein Höhepunkt unserer bisherigen Reise. Nachdem wir uns während den letzten Wochen langsam an die Kälte gewöhnt hatten, nahmen wir kurz nach Tagesanbruch diese letzten 104km in Angriff, welche über den Garibaldi-Pass (450m.ü.M) führten.

Die ersten paar km waren "normal" zu fahren, entlang dem Lago Fagnano und es war lediglich bewölkt. Dann lösten sich aus diesen Wolken plötzlich riesige Schneeflocken und wir befanden uns mitten in einem ziemlich heftigen Schneegestöber. Nach ca. einer Stunde war dann der Spuk wieder vorbei und zurück blieben wir als Schneemänner/-frauen zusammen mit einer genial verschneiten Landschaft.



Kurz vor dem Anstieg zum Pass machten wir bei Sonnenschein eine Z-zwei-Pause und starteten nach dem Pfadschlitten und dem Salzwagen wieder auf die Piste.


Ab jetzt galt für Fahrzeuge ein Schneeketten- oder "Spikes"-obligatorium, was wir kurzerhand ignorierten. Je näher wir zur Passhöhe kamen, desto grauer und nebliger wurde die Umgebung und zuoberst konnten wir nur knapp den zurückgelegten Weg erkennen. Trotzdem machten wir neben Schneewächten das Gipfelfoto...


Leider hatten wir auch keinen Schlitten dabei, denn dies wäre das ideale Gefährt für die andere Seite des Passes gewesen. Die abfallende Piste war komplett bedeckt mit Neuschnee und die von Fahrzeugen hinterlassenen Spuren sorgten dafür, dass wir mit heruntergelassenen Sätteln (um mit beiden Füssen Bodenkontakt halten zu können) im Balanceakt und Schritttempo die vorher erkämpften Höhemeter wieder vernichteten - nichts mit rauschender Abfahrt. Grosse Gänge einlegen war ab jetzt sowieso schwierig, da sich die eingefrorene Schaltung nur noch mit Zuhilfenahme des Fusses bedienen liess.


Zu allem Übel machte die Strasse bald einen Knick nach rechts und zur mieserablen Piste kam ein eisiger Wind, der uns nicht nur das Getränk in den Bidons gefrieren (also nichts mehr mit trinken), sondern auch Füsse und Finger erstarren liess. Dagegen konnten auch die am Morgen in die Schuhe eingelegten Wärmebeutel (Katja) und die gefaltete Zeitung (Didi) nichts ausrichten.
In Anbetracht dieser vernichtenden Umstände und der fortgeschrittenen Zeit beschlossen wir, bei einem Restaurant im Skigebietes Cerro Castor, 30km vor Ushuaia, nach einer möglichen Unterkunft nachzufragen. Diese seien leider nur im Winter geöffnet, hiess es. Wir schauten uns gegenseitig an, zeigten nach draussen und fragten den Herrn: "Und was, bitte schön, ist jetzt?" "Herbst.", war seine Antwort.


Zum Glück waren an der Talstation der Sesselbahn ein paar Handwerker damit beschäftigt, das Gebäude für die kommende Skisaison vorzubereiten. Diese nahmen uns 2h später im Pickup mit nach Ushuaia und wir waren dankbar, diese Strecke nicht per Rad zurücklegen zu müssen.

Ushuaia, auch "Fin del mudo" genannt, erwartete uns ebenfalls im verschneiten Kleid. Nach einem Erholungstag und dem Abklären der Möglichkeiten hier, radelten wir durch den Nationalpark "Tierra del Fuego" zur Bahia Lapataia, welche das Ende der Ruta 3 und auch der südlichste Punkt Argentiniens ist. Die 46km Fahrt (auch über verschneite Piste) war ohne Gepäck und bei schönem Wetter ein Genuss und wir sind schon ein wenig stolz auf unsere Leistung, es entgegen so vielen Meinungen getroffener Leute bis hier hin geschafft zu haben.

Samstag, 24. Mai 2008

Tierra del Fuego

Estanzia Concordia
In Porvenir füllten wir an der Tankstelle die Benzinflasche für den Kocher auf. Da Katja dringend eine Toilette benötigte, fragten wir die Dame an der Kasse, ob Katja ev. das WC benützen dürfe. "Nein, das sei kein öffentliches WC!". Wo jedoch das nächste WC sei, konnte sie uns auch nicht sagen. Didi schlug Katja vor, direkt vor die Ladentür zu schiffen. Das wollte sie jedoch nicht und machte stattdessen ihr Geschäft hinter dem Haus (-> Gruss an Maya).


Kurz nach dem Dörflein endete der Teer und wir radelten entlang der Küste richtung Osten. Oft scheuchten wir ganze Schwärme von Wildgänsen auf, die am Wegrand sassen. Auch Herden von Guanakos begegneten wir häufiger als bisher, welche dann jeweils elegant über den Zaun am Wegrand sprangen. Einmal huschte sogar ein Fuchs vor uns über die Strasse.


Dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass es wegen des leichten Gegenwindes saukalt war. Feucht vom Schweiss entschieden wir kurz vor dem Eindunkeln, bei einer Estanzia etwas abseits der Strasse nach einer Zeltmöglichkeit zu fragen. Wir wurden von einem Gaucho empfangen, der von Zelt aufstellen gar nichts wissen wollte. Er bat uns (wie es uns schon einige male ergangen ist) zuerst mal ins Haus, stellte uns vor den warmen Holzherd und tischte ein Zvieriplättli mit Konfi und Fleisch auf. Dazu servierte er warmen Tee.

Die Estanzia Concordia mit rund 6000 Schafen wird ganzjährlich von drei Gauchos betrieben. Lediglich während 2 Monaten erscheinen die Besitzer und machen Urlaub auf dem Grundstück. Es gibt weder Telefon, Auto noch Strom. Geheizt und gekocht wird mit Holz und die Räume werden mit Gaslaternen oder Kerzen beleuchtet. Ein öffentlicher Bus fährt 2 mal in der Woche ins 60km entfernte Porvenir.


Sie boten uns ein Bett im Massenlager an und erwarteten als Gegenleistung lediglich, dass wir ihnen per Post ein Foto von uns zustellen. Sie präsentierten uns eine ganze Sammlung von solchen Erinnerungsfotos und Ansichtskarten von Velofahrern, welche in den letzten Jahren bei ihnen übernachtet hatten. Darunter entdeckten wir auch - welch Zufall - eine Fotosammlung von Klaus Loosli, dem jungen Berner, von welchem wir in Wetzikon vor unserer Reise eine Multimediapräsentation besucht hatten.

Obendrein luden sie uns zum Nachtessen ein. Sie bereiteten in einem grossen Topf ein Cordero (Lamm) zu, welches uns vorzüglich schmeckte. Wir revanchierten uns mit einem Dessert. Die Schokoladencreme zauberte den Gauchos beim ersten Löffel ein Strahlen ins Gesicht, was uns vermuten liess, dass sie die Abwechslung zum täglichen Lamm genossen.


Tags darauf konnten wir bei der Arbeit mit den Schafen zuschauen. Da nun jedoch nicht Zeit für Schafschur ist, handelte es sich um Metzgete. Mit gekonnten Handgriffen entnahmen Sie 5 Tieren das warme Blut, zogen ihnen danach das Fell ab und hängten die entweideten (= nicht mehr am weiden...) Tiere an Haken. In der Zwischenzeit bereitete der dritte Kollege in der Küche den Sud für die Blutwürste zu.


San Sebastian
Wir bereiteten uns auch vor, jedoch für die bevorstehende Tagesettape, welche ein strenges Stück werden sollte. Zwar war die Strasse flacher als gestern, dafür hatten wir leichten Gegenwind, der Himmel war verhangen, so richtiges Sauwetter. Dazu kam, dass es zu dunkeln begann, bevor wir unser geplantes Tagesziel - den chilenischen Grenzposten - erreicht hatten. So fuhren wir die letzte halbe Stunde im Dunkeln, was in Anbetracht von quasi keinem Verkehr nicht sehr gefährlich war.

Am Grenzposten dann fanden wir zwar das erwartete Hostal aber leider war es geschlossen. Also fragten wir beim Polizeiposten nach. Der freundliche Herr füllte unseren Wassersack und schlug uns das verlassene Gebäude nebenan vor, um darin das Zelt aufzustellen. Dies taten wir auch, beschwerten die Zeltschnüre mit alten Autobatterien und ignorierten die dicke Staubschicht, welche alles bedeckte. Wir fanden die Situation angemessen, um die lange aufgesparte Trekkingmahlzeit einzusetzen, ein "Mousse au chocolat" zum anrühren. Sie schmeckte nicht mal so schlecht, war jedoch nicht ganz stichfest.


Um der Kälte etwas die Stirne zu bieten, durfte heute Nacht auch der Wärmebeutel von der Migros seinen Einsatz leisten.

Rio Grande
Der nächste Morgen war für Katja vermutlich der härteste bis jetzt. Die Velokleider und -schuhe waren nun nicht nur feucht, sondern auch noch eiskalt. Kurz vor der Weiterfahrt begann es noch zu regnen und die sandige Strasse war entsprechend ein Geschmier.


Jeder uns kreuzende Lastwagen hüllte uns in eine Dreckwolke und überzog uns mit einer zusätzlichen Schicht Sand. Die Passanten am argentinischen Grenzposten schauten uns ganz komisch an, als wir zwei Schweine das Grenzbüro betraten...

Rio Grande, die nächste Ortschaft auf unserem Weg, lag noch 80km vor uns und wir hatten keine 4 Stunden Tageslicht mehr. Da die Strasse ab nun asphaltiert war und auch der Wind die Richtung wechselte, kamen wir mit bis zu 30km/h ganz gut voran, sogar die Sonne zeigte sich zeitweise. Unterwegs legten wir zur Feier unseres 2000-sten Velokilometers eine kurze Pause ein und stiessen mit einem Reiheli "Sahne-Nuss-Schoggi" auf unsere erbrachte Leistung an.


Erst beim Losfahren bemerkte Didi dann den Plattfuss am Hinterrad. Genau bei Kilometer 2000 dürfen wir den ersten platten Reifen beklagen. Durch die Reparatur war unser vorgängig herausgefahrener Vorsprung wieder zunichte und dadurch wurde es ca. 10km vor unserem Tagesziel dunkel. Auf dieser Strasse hatte es jedoch viel mehr Verkehr als gestern, was uns bei jedem sich nähernden Fahrzeug dazu zwang, im dunkeln ins Kiesbett neben der Teerstrasse auszuweichen, mühsam und nicht ungefährlich. Trotzdem erreichten wir irgendwann und irgendwie die Stadt, wo wir nach dem vierten mal Fragen auch ein Hostel fanden. Die Besitzerin kriegte zwar beinahe ein Herzstillstand als sie uns sah ("Son locos!" -> "Ihr seid ja verrückt!"), umarmte uns trotz unserer dreckig-nassen Erscheinung und führte uns ins Haus. Auch sie entfachte sofort ein Feuer im Schwedenofen und drückte uns eine Tasse Tee in die Hände. Ob wohl irgendwo auf unserer Stirne steht: "Bitte Feuer machen und Tee anbieten"? Nein, ganz ehrlich, wir waren gerührt vom herzlichen Empfang.

Auf nach Feuerland

Nach unseren Wandertagen im Nationalpark Torres del Paine wollten wir uns wieder der Velofahrt widmen und uns über die Strassenverhältnisse, Unterkunfts- und Einkaufsmöglichkeiten bis Punta Arenas erkundigen. Zu unserem Nachteil war gerade Wochenende und somit leider hatte keine Touristeninformation geöffnet (Touristen kommen ja nur unter der Woche ;-). Also versuchten wir, an der Tankstelle z.B. von Fernfahrern mehr zu erfahren. Ein Mitarbeiter der Tankstelle nannte uns dann auch einige geöffnete Estanzias und Hotels unterwegs. Die Aussagen eines weiteren Herrn wiedersprachen dem jedoch. Während wir im Telefonbuch die Nummer eines solchen Hotels suchten um sicherzustellen, dass dieses auch wirklich geöffnet ist, sprach uns ein junger Marine-Kapitän in Uniform an und meinte, er fahre gleich jetzt nach Punta Arenas und würde uns mitnehmen. Das waren für uns ganz neue Optionen. Wir wechselten einen kurzen Blick, prüften den Platz im Pickup und ... 30 Minuten später hatten wir unser Zeug gepackt, eingeladen, das Hostel bezahlt und sassen auf dem Rücksitz im Auto und konnten unser Glück einmal mehr kaum fassen.


Während der 2-stündigen Fahrt kamen dann zwar trotzdem etwas wehmütige Gefühle auf, denn: die Strasse war vorwiegend flach, absolut trocken und die Gegend wäre auch auf 2 Rädern sehr attraktiv gewesen...

Wie in einem Taxi wurden wir in Punta Arenas bis vor die Haustüre des von uns vorgeschlagenen Hostels chauffiert. Dem sympathischen Kapitän und seinem Kollegen drückten wir zum Dank eines unserer Sackmesser in die Hand. Wie gestrandete Wale fanden wir uns im kalten Zimmer wieder - so schnelle Verschiebungen sind wir uns schlicht nicht gewohnt, es ging uns alles etwas zu schnell.

Punta Arenas
Nach Buenos Aires war dies die zweitgrösste Stadt, welche wir bis dahin auf unserer Reise besucht hatten (über 110'000 Einwohner, südlichste Grossstadt der Welt). Da wir sie jedoch an einem Sonntag mit dem Velo erkundeten, wirkte die Hafenstadt ziemlich ausgestorben. Nur während der sonntäglichen Fahnenweihe auf der "Plaza de Armas" kam etwas Leben in die Strasse. Die chilenische Armee spielte Marschmusik und sang lauthals ihre Nationalhymne.


Auf dem höchsten Punkt genossen wir die Aussicht auf Küste und Stadt, liessen uns durch die Sonne die Gesichter wärmen, bevor wir uns in einem Kaffee ein Zvieriplättli (eine rechte Portion Pommes mit einer Variation aus Fleisch und Würschtli) gönnten, ein richtiger Faulenztag.


Am Montag informierten wir uns über die Möglichkeiten, nach Feuerland bis nach Rio Grande überzusetzen. Zwischen Punta Arenas und der Insel Feuerland liegt der Magellankanal, welchen man mit einer Fähre nach Porvenir oder per Bus über Rio Gallegos überquert. Wir entschieden uns für die erste Variante, welche 250 Velokilometer bei ungewissen Wetterverhältnissen bedeutete. So füllten wir unsere Veloküche auf und unterzogen die Räder einem kleinen Service - "Feuerland, wir sind bereit!".


Am nächsten Morgen früh bestiegen wir die Autofähre, welche uns in einer kurzen, ruhigen Fahrt nach Porvenir brachte.

Nationalpark Torres del Paine

Nach einem dringend nötigen Ruhetag suchten wir das historische Museum auf, welches zugleich als Touristeninformation dient. Hier erhielten wir schon bei unserer Ankunft in Puerto Natales von einem sehr freundlichen Mädel kompetent Auskunft. Und auch diesmal enttäuschte Sie uns nicht. Während Sie uns über mögliche Wanderungen und (noch) geöffnete Refugios informierte, lauschten uns zwei Schwaben und sprachen uns an. Hannes und Mirjam planten, mit einem Mietauto am nächsten Tag zu den "Torres" zu fahren. So bildeten wir eine Fahrgemeinschaft und verliessen trotz zweifelhafter Wettervorhersagen das Städtchen am nächsten Morgen auf 4 Rädern. Im Kofferraum hatten wir zwei gemietete Rucksäcke, bepackt mit Zelt und Essen für eine Übernachtung...


Jedoch schon auf dem Weg zum Eingang des Parks zeigte sich das Wetter von der besten Seite. Die dichten Wolken um die markanten Berggipfel verzogen sich (wie Tage zuvor in El Chaltén) , während wir uns dem malerischen Gebirge näherten.


Unterwegs weideten Guanakos direkt am Wegrand und liessen sich durch unser Auto nicht aus der Ruhe bringen.


Der Weg durch den Park war nicht in bestem Zustand. Bei einer schmalen Hängebrücke wurde mit einer Tafel darauf hingewiesen, dass die Passagiere doch die Fahrzeuge verlassen mögen...


Bei einem luxuriösen Hotel am Fusse des Gebirges parkierten wir unser Fahrzeug und nahmen den ca. 3 stündigen Anstieg in Angriff. Schon nach wenigen Höhenmetern wandelte sich der steinige Untergrund in Schneematsch und Eis. Viel Vorsicht und Gleichgewicht war gefordert, um nicht auf dem Hosenboden zu landen. Auf halber Höhe trennten wir uns von unseren Gschpändli und stellten auf einem "geschlossenen" Campingplatz unser Zelt auf ein schneefreies Plätzchen, bevor wir den Rest der Tour unter die Füsse nahmen. Beim angestrebten Aussichtspunkt hatten wir einen genialen Blick auf die vier Bergspitzen, welche sich vergleichbar mit den Dolomiten steil in den Himmel aufbäumen.


Hier lag der Schnee kniehoch und wir waren froh, dass schon einige Wanderer vor uns den Weg einigermassen zurechtgestapft hatten.


Zurück beim Zelt bereiteten wir im Windschatten des Refugios das "Menü 1" zu (Quizfrage: was ist wohl Menü 1?) und verkrochen uns bald in den Schlafsäcken. Die Übernachtung im Zelt war überraschend warm, draussen regnete es und der Schnee schmolz dahin. Wir waren froh, bereits gestern bei Sonnenschein den Aufstieg gemacht zu haben. Da wir "Slow-Motions" leider wieder mal etwas zu lange im Zelt lagen, mussten wir beim Abstieg ziemlich Gas geben, um den einzigen Bus zurück nach Puerto Natales zu erwischen. Da der Bus schon ausgebucht war, konnten wir bequem in einem Jeep in die Zivilisation zurückkehren.

Dienstag, 13. Mai 2008

Von El Calafate nach Puerto Natales

Wir verliessen El Calafate auf der selben Strasse wie wir kamen. Leider blies der Wind diesmal nicht so kräftig in die selbe Richtung wie bei unserer Ankunft... Nach einer 10km langen Bergfahrt gelangten wir auf ein riesiges, flaches Hochplateau, wo sich die Pampa wie ein Tuch bis zum Horizont ausbreitete. Hier blies der eiskalte Wind so kräftig, dass wir den letzten Drittel unserer 95km langen Tagesetappe in einer guten Stunde geschafft hatten.

Wir kamen nach El Cerrito, was nichts weiteres ist als ein Stützpunkt der "Vialidad", der argentinischen Strassenaufsicht. Wir klopften an und fragten, ob wir im Windschatten der Gebäude unser Zelt aufstellen und Wasser bekommen könnten. Ein knurriger aber freundlicher Mann gab uns, was wir brauchten. Wir kochten uns Teigwaren mit Tomaten-, Oliven-, Thon-, Würschtlisauce (eine Spezialität aus der Radlerküche) und krochen dann schnell in voller Montur (2 paar Socken, Thermounterhosen, 4 Pullover, Kappe und Handschuhe) in unsere bis zur Nase zugeschnürten Schlafsäcke.


Als uns die Sonne weckte (und dies ist unterdessen um 9.30 Uhr der Fall!), krochen wir aus den warmen Federn und nahmen das nächste Stück Pampa unter die Räder. 70km Holperpiste brachten uns nach Tapi Aike, was kein Dorf ist, sondern einige Häuser, eine Tankstelle mit Kiosk und eine wegen Wintersaison geschlossene "Estancia". Der Tankwart gab uns die Auskunft, dass es bis zum nächsten Dorf noch 50km seien und dass bis dahin auch keine einzige Übernachtunsmöglichkeit vorhanden sei. Da sie auch keine bessere Lösung wusste, liess sich Katja trotz eingetretener Ermüdungserscheinungen von Didi zu diesen zusätzlichen 50km radeln motivieren.

Geisterhotel
Doch es kam anders: nach 12 km erreichten wir das vom Tankwart erwähnte verlassene Hotel an der Strasse.


Wir schlichen erstmals darum herum und stolperten dabei beinahe über einen toten Fuchs im Garten. Didi entdeckte ein offenes Fenster und inspizierte in der Folge das Innenleben des Gebäudes: in einem Zimmer brannte noch licht, das Bett sah aus, als sei es erst verlassen worden, Kleider und Schuhe lagen herum. Katja kletterte nun auch durchs Fenster und wir schauten uns gemeinsam weiter um: die Küche ein Saustall mit dreckigem Geschirr im Waschbecken, in der Vorratskammer noch einige Esswaren, ein Haufen von Matratzen in einem Zimmer.


Die Zeitung auf dem Tisch verriet uns dann, dass schon länger niemand mehr hier war: sie war von 2007! So entschlossen wir uns, das Hotel für eine Nacht in Anspruch zu nehmen. Wir öffneten die Haustür von innen und holten unser Gepäck samt Velos in die Hotelbar, wo sie neben Fernseher und Computer die Nacht vor Wind und Wetter geschützt verbringen durften.
Der kleine Radio trällerte uns spanische Liebeslieder während wir in der eiskalten Küche unser Nachtessen genossen.
Didi der Cevianer, Tüftler und Schnüffler musste natürlich noch herausfinden, ob das Telefon noch funktionierte. Der Schlüssel zum Münzfach lag noch auf dem Telefon und das Münzfach war noch voll. So konnten wir das Telefon auch gleich testen. Da es in der Schweiz mitten in der Nacht war, war die Nummer von Katja's Praxis die einzig vernünftige Testdestination und so kamen die Physios zu einer Nachricht aus dem Geisterhaus.


Als Didi morgens das Haus verliess um den Sonnenaufgang zu fotografieren, war alles spiegelglatt gefroren! Wir nahmens gemütlich und fuhren schliesslich auf weitgehend abgetauter Strasse ein weiteres mal Chile entgegen.

Nach 105 km Fahrt erreichten wir Puerto Natales, wo wir uns in einem gemütlichen, familiären Hostal einquartierten. Wir wurden mit Kaffee und Brötchen empfangen und genossen die Wärme der Atmosphäre und der Stube. Eine schöne heisse Dusche und ab ins Restaurant. Nach drei Tagen Pampa freut man sich riesig auf ein üppiges Nachtessen vom Serviertablett!

Samstag, 10. Mai 2008

El Calafate

Die nächste (106km lange) Etappe führte uns nach El Calafate. Unterwegs kreuzten wir zwei Tandemfahrer: Britta und Michi aus Davos (trotamundos-davos.blogspot.com)! Wir tauschten Infos und Erfahrungen aus und unterhielten uns eine ganze Weile. Danach wurde uns einmal mehr bewusst, dass wir trotz kommendem Winter die bessere Reiserichtung gewählt hatten, mussten Britta und Michi doch tagelang gegen heftigen Wind ankämpfen.


Sie waren nicht die letzten Radfahrer, die uns an diesem Tag entgegenkamen. Wenig später trafen wir auf die Familie Toyota aus Japan. Ein Elternpaar mit der 12-jährigen Tochter per Velo unterwegs von Feuerland nach Peru. Die Kleine mache abends im Zelt Hausaufgaben, während sich die Eltern angeblich dem Alkohol widmen... Wir waren nicht wenig beeindruckt, vor allem von der Tochter, sind wir doch abends oft sogar zu müde zum Tagebuch schreiben!

El Calafate mussten wir uns dann noch etwas verdienen. Die letzten 30km kämpften wir voll gegen den Wind und brauchten dafür 3 Stunden. Ziemlich geschafft erreichten wir das Hostel, in welchem auch Inés und Pablo logierten. Da kam uns das "All you can eat" Fleisch- und Salatbuffet gerade gelegen. Leider entsprach das Angebot nicht ganz der Nachfrage und so wurde aus "All you can eat" eher "Fütterung sämtlicher Raubtiere".


Nach einer kurzen Nacht (wir diskutierten einmal mehr lange mit Inés und Pablo) nahmen wir an einer Exkursion zum Perito Moreno Gletscher teil. Das Drum und Dran war recht ungewohnt für uns und hatte etwas den Charakter einer Schulreise: mit Bus und Boot wurden wir zum Gletscher gefahren, bekamen da Steigeisen montiert und wanderten so im Gänsemarsch über das ewige Eis.


Der Gletscher an sich war sehr beeindruckend: eine 50-60m hohe imposante Eiswand, die sich vor einem erhebt und in den See sticht. Der Perito Moreno wächst noch heute und zwar so schnell, dass man sogar zusehen kann, wie er "kalbt". Das heisst, wie kleinere oder grössere Eisblöcke immer wieder abbrechen und mit Getöse in den See stürzen, wo sie anschliessend als blauschimmernde Eisberge herumschwimmen. Wahnsinn!




Zur Belohnung nach diesem "strengen" Abenteuer spendierte unser Bergführer eine Runde Whisky "on the Gletscher-rocks", mit 400 jährigem Gletschereis.


Jetzt hatten wir dringend eine Pause nötig. Einfach mal nichts tun, schlafen, lesen, schreiben. So genossen wir nun zwei Faulenztage in El Calafate und machen uns dann erholt auf zu neuen Abenteuern.

El Chaltén

Schon im Bus trafen wir lustigerweise wieder auf Inés und Pablo, die wir tags zuvor im Canyon bei der Cueva de las manos angetroffen hatten. Sie stammen beide aus der Umgebung von Cordoba (Argentinien), leben eigentlich in Costa Rica und sind seit einem Jahr in ganz Südamerika am reisen.

In El Chaltén quartierten wir uns im selben Hostel ein und verbrachten drei lustige Abende mit ihnen, an denen wir viel Spanisch praktizierten. Ja tatsächlich: unterdessen können wir wirklich schon abendfüllende Diskussionen führen auf Spanisch und sind auch ein bisschen stolz darauf!


Zwei Schlechtwettertage lang brauchten wir Geduld, bis sich die bekannten Berge Cerro Torres und Fitz Roy zeigten. Doch dann wurden wir für die Dauer einer Tageswanderung mit wunderschöner Aussicht auf diese atemberaubende Kulisse belohnt und genossen dies in vollen Zügen.


Die Weiterfahrt am nächsten Tag war ein Genuss: mit Rückenwind brausten wir auf perfekter Teerstrasse bei schönstem Wetter mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 36km/h in die Pampa hinaus. Unendliche Weite, den riesengrossen Lago Viedma an unserer Seite und in der Ferne die Berge. Ein unglaubliches Gefühl von Freiheit!

Doch es sollte nicht so bleiben. Didi entdeckte ein Strässchen, welches sogar auf unserer nicht sehr detaillierter Karte gepunktet eingezeichnet war und wie eine Abkürzung aussah. Wir brauchten nur ein "bisschen" länger... Bald entpuppte sich das Strässchen als Sandpiste und für die einen war dann öfters Schieben angesagt, und natürlich auf die Zähne beissen!


Ziemlich müde wieder an der Teerstrasse angelangt wurden wir mit zügigem Gegenwind und zu guter Letzt wieder mit Kiesstrasse "belohnt". Es wurde immer später und wir hatten keine Ahnung, wie weit es noch bis zum Hotel La Leona sein könnte. Ein Urschrei der Freude und Erleichterung kam aus Katjas Kehle, als die Strassentafel "La Leona, 3km" auftauchte.

Zeitgleich mit uns traf auch der Bus aus El Chaltén da ein, mit welchem Inés und Pablo nach El Calafate unterwegs waren. Alle freuten sich über das unerwartet schnelle Wiedersehen und wir wurden für unsere Tagesleistung von 115km Radfahren bewundert. Obwohl die Übernachtung in diesem Hotel in "el medio de la nada" soviel kostete wie die letzten drei Übernachtungen zusammen, konnten und wollten wir uns nach diesem Tag nicht zum Campieren überwinden. Wirklich warme Küche gabs da nicht und so haben wir uns nach einer heissen Suppe durch das gesamte Snackangebot der Hotelcafeteria gegessen.

Freitag, 9. Mai 2008

Chile Chico bis El Chaltén

Chile Chico

Der Aufenthalt bei Carlos und Gloria war sehr erholsam und gemuetlich. Die beiden zogen mit ihren Toechtern im letzten Dezember von weiter noerdlich nach Chile Chico, um hier ein Hostel zu betreiben. Dieses ist sehr gepflegt, geraeumig und gemuetlich eingerichtet. Carlos stellt in der Kueche des Hostels bisweilen Torten und Gebaeck her, welche er als Nebenverdienst verkauft. Wir lachten viel und genossen die familiaere Atmosphaere. Das im Preis inbegriffene Fruehstueck beinhaltete zum ueblichen Toast und Kaffee noch Ruehrei und Orangensaft, was uns natuerlich zusaetzlich sehr passte. Gerne nahmen wir zum Abschluss ein paar Flyer des Hostels mit zum Verteilen an andere Touris.


Auf der Weiterfahrt wieder zurueck in Argentinien passierten wir einen Kontrollposten der Polizei. Eine rundliche Wachtmeisterin stand breitbeinig auf der Strasse und gackerte auf uns ein. Ihr "Lehrling" studierte lange unsere IDs und erkundigte sich dann nach unserem Herkunftsland, als waere das auf der ID nicht viersprachig aufgefuehrt. Schlussendlich beruhigte sich sogar seine Chefin, fragte mitfuehlend, ob es denn nicht kalt sei so den ganzen Tag auf dem Rad und beide wuenschten uns eine erfolgreiche und gute Weiterreise. Wir setzten schmunzelnd unsere Raeder wieder in Fahrt.


In Perito Moreno (was ausser dem Namen nichts mit dem 500km weiter Suedlich gelegenen Gletscher zu tun hat) suchte wir erstmals Schutz vor dem Regen unter dem Vordach eines Ladens. Ein sehr kurliger Typ quatschte uns an, redete ununterbrochen und bot uns eine Unterkunft fuer umgerechnet CHF 1.70 pro Nase an. Nach der fuer uns ueblichen Rundfahrt durchs Dorf passierten wir auch die Strasse vom vorgaengig getroffenen Raul. Er sprang mit dem Gaestebuch auf die Strasse, deutete auf die Eintraege von anderen Schweizern (aus 2005) und zog Katja am Aermel in seine Behausung. Das Schlafzimmer befand sich in einem Silo (!) neben gelagerten Birnen und die Kueche befand sich im Schlafzimmer von Raul (oder umgekehrt). Zudem war nur die Kueche geheizt und da wir ziemlich kuehl hatten, entschlossen wir uns fuer das Hostel gegenueber, welches geraeumig und gut geheizt war, dafuer 8 mal mehr kostete.

Dort blieben wir 2 Naechte und erkundigten uns ueber die folgende Strecke nach Sueden, welche ab nun sehr einsam und in mieserablem Zustand sein soll. Auf diesen ca. 450km gibt es kein Dorf, keinen Laden, viel Pampa mit nur wenigen Fluessen fuer den Wassernachschub und praktisch alle Estanzias sind in dieser Jahreszeit geschlossen. Dazu kommt die ungewisse Lage ueber den Strassenzustand und das Wetter. Bei einem Schneeeinbruch waere man fuer einige Tage blockiert im Nichts, denn ein Bus verkehrt jetzt nur 2x woechendlich. So beschlossen wir, die ersten 130km zu radeln, dann per Bus bis El Chaltén zu fahren und Energie und Zeit fuer spaetere Abenteuer zu sparen.


Cueva de las manos

Auf der Strecke Richtung Bajo Caracoles machten wir einen Abstecher zu den "Cuevas de las manos" (Hoehlen der Haende). Dazu verliessen wir die bereits ungeteerte und holprige Routa 40 und tauchten ueber einen noch kleineren Feldweg tiefer in die Pampa ein. Wir trafen niemanden, ausser einem Reiter, welcher eingemummt in dicke Schaffelle mit seinen Hunden ein paar wilde Roesser durch die windige Steppe trieb. Er ritt zu uns hin und wir wechselten ein paar Worte, was hier glaub ueblich ist, wenn man in einer so einsamen Gegend jemanden trifft.


Wenig spaeter kamen wir bei der Estanzia "Cuevas de las manos" an, wo ein paar Gauchos gerade damit beschaeftigt waren, ihre ziemlich wilden Pferde einzufangen, zu "frisieren" und mit Brandmarken zu versehen. Hier fuehlte sich Katja sofort wie zuhause und wir stellten unser Zelt im Windschatten der geschlossenen Unterkunft auf, kochten uns eine waermende Mahlzeit und lagen schon um 20.00 in unseren Schlafsaecken.


Nach einer kalten Nacht (Eis auf dem Zelt) erreichten wir nach weiteren 15km den Canyon, bei welchem sich diese Hoehle mit Wandmalereien befinden. Nur, dass wir dazu den rund 150m tiefen Canyon queren muessen, wussten wir vorher nicht. Mit Schreck stellten wir fest, dass der Weg ein steiler unfahrbarer Wanderweg war. Katja balancierte ihr Gefaehrt im Schneckentempo in die Schlucht hinunter. Didi musste die Strecke 2 mal zuruecklegen, einmal mit Anhaenger, das zweite mal mit dem Velo.


Zuunterst kreuzten wir vier Besucher der Hoehle, welche zu Fuss den Canyon querten. Sie staunten nicht schlecht, fotografierten uns und prueften das Gewicht unserer bepackten Raeder. Dass zwei dieser Touristen ein Argentinier-Paar war, welches wir waehrend der naechsten Woche an vier verschiedenen Orten wieder treffen wuerden und daraus eine gute Freundschaft entstehen sollte, konnten wir damals noch nicht ahnen.


Der anstrengendste Teil kam jedoch erst jetzt, naemlich der Anstieg auf der anderen Seite, ueber Treppen und schmale Wanderwege. Voellig erledigt erreichten wir die andere Canyonseite, 1.5h spaeter. Dort trafen wir auf Cesar, einen Ami, welcher mit seinem Rad die Querung noch vor sich hatte. Er tat uns jetzt schon leid.


Mit einem persoenlichen Guide durften wir zur Belohnung die Hoehle besichtigen, welche vor ca. 9000 Jahren von hier lebenden Urvoelkern mit Malereien und Handabdruecken verziert worden war. Ueber 800 solche "Haende" zieren den Felsvorsprung entlang dem Canyon. Die Farbe erzeugten sie aus im nahen Gebirge vorkommenden Mineralien, welche sie in einem Gemisch aus Wasser und Urin loesten und mit dem Mund auf die an die Wand gehaltenen Haende "spruehten". Der Guide erklaerte uns alles ueber die vermuteten Bedeutungen dieses Ur-Grafitty.


Da es uns durch die verlorene Zeit und Energie beim Queren des Tals nicht mehr nach Bajo Caracoles reichte, verbrachten wir die folgende Nacht mitten in "La Nada".


Wir konnten einen Fuchs beobachten und am Morgen die Guanakos, welche an der nahen Wasserstelle trinken wollten. Der in der kalten Nacht verpasste Schlaf holten wir am Morgen nach, als die Sonne unser Zelt wie ein Treibhaus aufwaermte. Um 11 wurde es zu warm im Zelt und wir (die einten) fruehstueckten im "Pischi" vor dem Zelt.


Die kurze Etappe nach Bajo Caracoles war nur noch ein Katzensprung. Der Ort wirkte von weitem wie ein Schrebergarten und war auch nicht viel groesser.


Doch ausgerechnet hier tranken wir waehrend dem Warten auf den Bus den besten Kaffee seit unsere Zeit hier in Suedamerika. Ohne Vorreservierung konnten wir den Bus auch mit Fahrraedern besteigen und waehrend den naechsten 9 Stunden ueber die naechtliche Steppe nach El Chaltén tuckern.